3. Fall: (Vor-)Ruhestand – und jetzt?


Der langersehnte Tag
Simon war endlich am Ziel seiner Berufsträume angekommen: der Tag, an dem ein kleiner Umtrunk unwiderruflich signalisierte, dass er nicht mehr jeden Morgen ins Büro fahren musste. Es war vorbei mit dem Berufsalltag. Das schöne Leben begann genau jetzt. Endlich!
Was hatte er sich nicht alles vorgenommen:
Reisen – endlich nachholen, wozu er die ganze Zeit nicht gekommen war.
Ausschlafen, träumen, gut essen – alle hedonistischen Lieblingsfantasien ausleben.
Sport machen – ein paar Kilos rund um die Taille wollte er auch gern loswerden.
Und er hatte auch schon so einiges gebucht. Eine Fahrradtour durchs Burgenland. Eine Kreuzfahrt in der Südsee. Eine Bildungsreise nach China.

Ein gutes Drehbuch braucht nicht nur Handlung, auch die Beziehungen müssen passen
Für zwei Jahre war Simon echt in Hochstimmung. Bis er aus heiterem Himmel emotional abstürzte. Die Euphorie war plötzlich verraucht. Es machte sich eine gähnende Leere in seinem Leben breit. Schon länger lebte er nicht in einer Partnerschaft und Dating-Portale hatte er glücklos ausprobiert. Er hatte einige nette Leute bei seinen Reisen kennengelernt, aber es waren daraus keine bleibenden Bekanntschaften, schon gar keine Freundschaften entstanden. So langsam fehlte ihm der regelmäßige Umgang mit Menschen, die sich auch dafür interessierten, wer er war und was er tat. Eine Erkenntnis, die ihn überraschte. Schließlich hielt er sich immer für einen zufriedenen Einzelgänger.

Auch Zweifel sind ein Motor und sind herzlich willkommen
Als Simon mich anrief, war er noch voller Zweifel, ob denn ein neuer Aufbruch in seinem Alter wirklich positiv verlaufen könnte. Er hatte die Begegnungen mit anderen Leuten im Fitness-Studio in den morgendlichen Kursen und bei seinen eigenen Übungen als so flüchtig empfunden, dass er sich in seinem Wohnort kaum vorstellen konnte, dass er noch Anschluss finden würde.
Wir trafen uns und machten erst einmal Inventur, wie er es nannte.

  • Welche Interessen hat er, vielleicht schon völlig verschüttet, aber doch noch wirksam.
  • Welche Kompetenzen könnte er von seinem Berufsleben in sein jetziges Leben überführen.
  • Wo könnte er damit landen.
  • Viel wichtiger: wie sollte er auf die Leute zugehen, die er in den Gruppen oder Vereinen, die ihm einfielen, schon lange tätig sind.
  • Wollte er sich die Mühe machen und Neues lernen? Traute er sich das zu?


Die Wendung geschieht im strukturierten Austauschmit dem Coach
Simon überraschte sich selbst mit einem bunten Strauß von Ideen, die ihm in einem stummen Gedankenspiel nicht gekommen wären. Seine Begeisterung und vor allem sein Mut, sich hinauszuwagen und die alten Pfade zu verlassen, wurden größer je mehr er davon erzählte und sich vorstellte, wie es dort sein könnte.
Mit einer kleinen Auswahl von Möglichkeiten setzte er sich hin und schrieb für jede Möglichkeit tatsächlich ein kleines Drehbuch, wie die Episoden laufen könnten. Wie er Menschen kennenlernen und Interessen ausprägen könnte. Gemeinsam  sahen wir diese kleinen Skripte auf Widersprüchlichkeiten und Lücken durch.

Der Königsweg nutzt wieder entdeckte Kompetenzen
Dann begann er mit einer Option und eröffnete sich völlig neue Erfahrungen, indem er seinem Drehbuch folgte und sich nicht durch die anderen zu sehr beeindrucken ließ. Schließlich wollte er seine Geschichte erleben und nicht Teil einer anderen werden. So gelang es ihm, ein verschüttetes Hobby mit neuem Leben zu füllen und sich einen Kreis Gleichgesinnter aufzubauen. Birdwatching war nicht nur in England zu einem beliebten Interessensgebiet geworden. Auch in Simons Nachbarschaft gab es einen Verein. Rückschläge nahm er als Übungsfelder und schrieb sein Drehbuch um. Jetzt treffen sich Simon und seine neuen Bekannten regelmäßig und wachsen auch persönlich zueinander. Mittlerweile ist Simon zum schätzten Organisator für Beobachtungsausflüge geworden. Dabei setzt er Kompetenzen ein, die er im Beruf gut ausgebaut hatte. Sie spielen heute wieder tragende Rollen in seinem Drehbuch.

Das nächste Drehbuch ist schon in Arbeit
Aber natürlich geht Simon auch anderen Interessen nach und plant bereits ein weiteres Drehbuch. Als Regie-Assistentin wird er mich hin und wieder kontaktieren, weil er den wohlwollenden Perspektivenwechsel sehr schätzt. Simon findet, dass es ihm immer wieder hilft, in seine „Blinden Flecken“ immer mehr Kontraste zu unterscheiden. Dadurch erscheinen Details oft in einem anderen, meist positiveren Licht. Das ermutigt ihn zum Weitermachen.